Montag, 15. Juni 2009

Bremsklötze der Schulreform

„Mein Kind first – Wie Eltern gute Schule verhindern“ titelt Christian Füller am 12.06.2009 seine Abrechnung im „Spiegel“. Dabei unterstellt er Eltern, dass sie lediglich bereit sind einer Schulreform zuzustimmen, die unmittelbar ihrem Kind hilft und die keinesfalls dazu führt, dass ihr Kind mit Unterschichtkindern in Kontakt kommt. „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ – Franz Josef Degenhardts Liedtext aus dem Jahr 1965 ist heute so aktuell wie damals. 2006 beschrieb Walter Wüllenweber unter genau diesem Titel im „Stern“ den Zusammenhang zwischen Bildungsarmut und neuer Armut. Peter Fischer, Professor an der PH Vorarlberg hat schon in mehreren Artikeln auf diese Problematik hingewiesen. Das Problem wurde schon lange erkannt. Viele Experten machen sich für eine umfassende Schulreform stark. Warum geschieht nichts? Wo sind die Bremsklötze?

Das Beispiel Liechtenstein

Im 35000 Einwohner zählenden Fürstentum Liechtenstein wurde von der Regierung am 20.12.2005 der Beschluss gefasst, die Sekundarschule 1 (6.-9. Schuljahr) grundlegend zu reformieren. In weiterer Folge wurden die nötigen Lenkungsteams gegründet und ein ehrgeiziger Zeitplan aufgestellt. Im kommenden Schuljahr hätte mit der gemeinsamen Schule bis zum 8. Schuljahr begonnen werden sollen. 1,58 Millionen Franken wurden investiert um an jedem Standort ein Profil zu entwickeln, das der Umsetzung dieses Planes dienen hätte sollen. Neben den beiden Regierungsparteien konnte das SPES 1 genannte Projekt auch auf breite Unterstützung vieler Interessensgruppen, vor allem aus der Wirtschaft, zählen. Auch der Bevölkerung wurde Gelegenheit gegeben, sich in einer Vortagsreihe über die Sinnhaftigkeit und die Machbarkeit eines solchen Vorhabens zu informieren. Ein Höhepunkt waren dabei sicher die Schilderungen von Enja Riegel, der ehemaligen Leiterin der „Helene-Lange-Schule“. Erwartungsgemäß regte sich Unmut unter der Belegschaft des Liechtensteinischen Gymnasiums. Auch wurde in der Bevölkerung eine Gruppe aktiv, die letztendlich alles daran setzte, die Reform doch noch zu kippen. Als dann auch noch die große Regierungspartei FBP umschwenkte und in deren Tageszeitung, dem „Liechtensteiner Volksblatt“, eine beispiellose Kampagne gegen SPES begann, wurde das Ende von SPES erst möglich. Am 28.11.2009 überstand SPES zwar noch eine Abstimmung im Landtag mit den Stimmen der kleinen Regierungspartei VU und der Oppositionspartei FL. Gleichzeitig wurde aber auch die Abhaltung einer Volksabstimmung beschlossen. Befürworter und Gegner stritten für ihre Sache und am Abend des 29.03.2009 war es Gewissheit. SPES war gestorben. Gleich wurde mit der Ursachenforschung begonnen. Offizielle Ergebnisse liegen aber bis dato nicht vor. Da ich aber in diesen Prozess direkt involviert war, wage ich es, über die Gründe des Scheiterns zu mutmaßen:
BREMSKLOTZ 1
Das LG – (Liechtensteinisches Gymnasium)
Dies ist durchaus verständlich. Für die Lehrpersonen der Unterstufe hätte diese Reform weitreichende Veränderungen bis hin zu einem neuen Arbeitsplatz bedeutet. Beflügelt von der anfänglich sehr breiten Unterstützung haben es die Verantwortlichen wohl versäumt, die Lehrpersonen des LGs mit ins Boot zu holen.
BREMSKLOTZ 2
Konservative
Eine mehrheitlich konservative Gruppe von Menschen, die schier unermüdlich Leserbriefe schrieb, um gegen dieses Vorhaben zu wettern.
BREMSKLOTZ 3
Die FBP
Die große Regierungspartei trat plötzlich gegen die eigenen Beschlüsse auf.
BREMSKLOTZ 4
Das „Liechtensteiner Volksblatt“
Das von der FBP kontrollierte Volksblatt, opferte viele Seiten , um das begonnene Werk zu stoppen.
BREMSKLOTZ 5
Die Wirtschaftskrise.
Just zum Abstimmungszeitpunkt hat die Wirtschaftskrise wohl alle Bevölkerungsschichten erfasst und dazu beigetragen, dass die Lust Neues zu wagen besonders gering war.
BREMSKLOTZ 6
Der ambitionierte Zeitplan
In der gebotenen Eile gelang es nicht überall, ein Profil zu erarbeiten, das auf Anhieb überzeugen konnte. Bei den erläuternden Informationsveranstaltungen kamen wohl überwiegend Leute, die SPES befürworteten. Nur so lässt sich die Diskrepanz zwischen Stimmung bei diesen Veranstaltungen und Abstimmungsergebnis erklären.
FAZIT
Da SPES mit 52,9% zur großen Überraschung aller Beteiligten abgelehnt wurde, müssen es wohl die Eltern gewesen sein, die SPES nicht trauten und den Argumenten der überwiegend gutsituierten Bildungsbürger gegen SPES folgten. Immer mehr trat in den Vordergrund, dass es nach 5 Schuljahren höchste Zeit sei, die Klassen, und hier sind die gesellschaftlichen und nicht die der Primarschule gemeint, endlich zu trennen.
Die in Liechtenstein sehr pragmatisch operierenden Vertreter der Wirtschaft haben die Zeichen der Zeit erkannt, und haben ein zeitgemäßes Bildungssystem gefordert. Es waren die Stimmbürger, die mehrheitlich nicht über den Schatten der Tradition springen konnten.

Auch wenn sich Österreich und das kleine Fürstentum in vielen Dingen deutlich unterscheiden, so kann man doch Parallelen erkennen. Auch hier gibt es mit der ÖVP eine konservative Regierungspartei, die sich gegen solche Bestrebungen stellt. Auch unterstelle ich den Gymnasiallehrern in großer Zahl gegen eine solche Schulreform zu sein. Dass es in Österreich eine Gruppe Konservativer gibt, die eine Tageszeitung finden können, um eine Reform zu kippen, darf wohl als sicher angenommen werden. Auch in Österreich haben Wirtschaftsvertreter die Notwendigkeit für Veränderung erkannt. Doch bis zu einem Regierungsbeschluss und zum Beginn konkreter Arbeit ist in der Alpenrepublik noch ein weiter Weg. Trotz des SPESdebakels vom 29.03.2009 ist das Fürstentum einer Reform viel näher. Hier wird man sich nicht auf Dauer mit suboptimalen Ergebnissen eines teuren Bildungssystems begnügen. Ich wage die Prognose, dass in Liechtenstein die gemeinsame Schule 10 Jahre früher kommen wird als in Österreich. Dennoch wünsche ich der ARGE Gemeinsame Schule Vorarlberg viel Erfolg.

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a.s. (Gast) - 15. Jun, 13:49

............

Sensationell, ich will mehr davon.......

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