Medienerziehung

Mittwoch, 9. September 2009

Medienerziehung Teil 2: Die Glotze – ABFFL…gekündigt!

paris_logoIn Teil 1 habe ich schon recht ausführlich meine Kindheitserinnerungen an meine Fernseherlebnisse beschrieben. Ausgelassen habe ich dabei jenen Moment, als ich weinend im Wohnzimmer stand, weil ich beobachten musste, dass ein Mann in blauer Arbeitskleidung kam und einfach unser Fernsehgerät aus dem Wohnzimmer wegtrug. Wenig später kam er mit einem anderen Gerät zurück. Dieses Gerät zauberte kunterbunte Bilder auf die Mattscheibe. Meine Welt war wieder in Ordnung und die Tränen trockneten schnell.
Kein Zweifel, ich war ein Kind, das bereits mit diesem Massenmedium aufwuchs. Vielleicht sind Sie überrascht, wenn ich Ihnen jetzt mitteile, dass der Fernsehkonsum von Jugendlichen in der letzten Zeit rückläufig ist. Dafür steigt aber die Nutzung des Internets stark. Die Zeit, welche Kinder und Jugendliche vor einem Bildschirm verbringen wird also mehr. Wenn wir die Zeit Gesamtzeit vor Bildschirmen ermitteln möchten, dann haben wir es mit dem Fernseher, dem Computer, Spielkonsolen, kleinen Spielkonsolen und den Handys zu tun. Zwar gibt es Studien zu Teilbereichen dieser Liste, doch eine genaue Gesamtzeit ist mir nicht bekannt. Ich versuche eine Schätzung aus dem Bauch heraus zu machen. Sie sind eingeladen, mitzudenken und diese Schätzung nach oben oder unten zu korrigieren: Fernsehen ca. 2h, Computerspiele ca. 1,5h , Internet ca. 1h und Handy ca. 0,5h. Das ergibt ca. 5h täglich, die ein junger Mensch vor einem Bildschirm verbringt. 5 Stunden finden sie zu hoch gegriffen? Die deutsche Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat folgende Zahlen ermittelt: Ein durchschnittlicher Junge im 9. Schuljahr sieht 139 Minuten fern, spielt 92 Minuten am Computer und ist 74 Minuten im Internet. Das ergibt 305 Minuten, oder etwas mehr als 5 Stunden. Mädchen liegen mit 4 Stunden und 22 Minuten etwas tiefer. Die Zeit, die mit dem Handy verbracht wird, ist dabei nicht berücksichtigt. Diese Zahlen gelten für normale Wochentage. An schulfreien Tagen erhöht sich diese Zeit noch deutlich. Meine Schätzung ist also eher optimistisch.
Durchschnittlich 5 Stunden vor einem Bildschirm sind eindeutig zu viel. Die Dauer ist aber lange nicht das größte Problem.

Jetzt aber zum heutigen Thema, das Fernsehen. Als ich Kind war wurde mir gesagt: „Wer zu viel in die Glotze starrt, bekommt viereckige Augen.“ Es gab Zeiten in meinem Leben, da habe ich zu viel in die Glotze gestarrt und ich bekomme trotzdem noch gelegentlich Komplimente für meine Augen. Diese Nebenwirkung scheint nicht zu stimmen. Andere Nebenwirkungen konnten aber durch Untersuchungen bestätigt werden:
Kinder, die vor der Einschulung einen hohen Fernsehkonsum hatten können sich schlechter konzentrieren, schlechter lesen, haben eine geringere sprachliche Kompetenz und erbringen schlechtere mathematische Leistungen.
Kinder mit eigenem Fernseher im Zimmer sind schlechter in der Schule.
Je mehr Jugendliche fernsehen, desto eher werden sie depressiv.
Dies sind nur drei von vielen nachgewiesenen Nebenwirkungen. Über all das finden Sie vieles im Internet. Ich möchte mich aber einem andern Problemfeld zuwenden. Schulische Leistungen sind aber nur ein Teilbereich eines jungen Lebens. Das Fernsehen beeinflusst aber auch das Verhalten der Kinder und Jugendlichen. Die Auswirkungen sind oft verheerend.

Aus meinen Erinnerungen:
Zu Beginn der Neunziger Jahre hatte ich Pausenaufsicht. Ich bemerkte eine Traube von Schüler/innen, die sich vor einem Garderobenhaken versammelt hatte. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, oder besser hängte ein kleingewachsener, ca. 12 jähriger Schüler, der an eben diesem Haken baumelte. Sein Hemdkragen hing fest, aus seinem Mund kamen röchelnde Laute und sein Gesicht drohte sich von einem satten Rot in dunkelblau zu verfärben. Ich befreite den Knaben unverzüglich aus seiner misslichen Lage. Sobald er wieder genug Luft zum Sprechen hatte konnte der Täter ausfindig gemacht werden. „Wieso hast du das gemacht? Der Junge wäre fast erstickt.“ „Das war doch nur Spaß. Das habe ich gestern im Fernsehen gesehen.“

So einfach war das damals. Heute geht es meistens um kompliziertere Zusammenhänge. Oft passieren ganze Sozialisationsprozesse mit dem Fernsehprogramm als Vorbild. Wissen Sie was Ihr (jugendliches) Kind für Programme sieht? Ich behaupte, dass die meisten Eltern es zu wissen glauben, doch eigentlich nicht wirklich wissen. Sie glauben es zu wissen, weil sie sich in der Standardwelt des Fernsehens auskennen. Da sehr viele Kinder und Jugendliche ein eigenes Fernsehgerät in ihrem Zimmer haben, entgehen sie aber einer genaueren Kontrolle. Zwar wissen wir älteren Semester, dass es auch Sender wie MTV oder VIVA gibt, aber wir glauben, dass es sich dabei um Musiksender handelt, die Musikvideos spielen. Wer kennt das Programm denn wirklich?
„Du würdest auch gern wissen, was es heisst, Paris Hilton zu sein? Am liebsten wärest du dick mit ihr befreundet und würdest mit ihr um die Welt jetten? Dann ist diese Show genau das Richtige für dich!“
So wird die Castingshow „Paris Hilton’s - My New Best Friend“ beworben. Sie haben das verpasst? Unmöglich, alle Folgen sind online – verpassen ausgeschlossen. Das Fernsehen und das Internet sind schon viel enger zusammengewachsen als wir denken.
Auf diese Show bin ich gestoßen, als eine neue Mode unter meinen Schülerinnen die Runde machte. Freudestrahlend verkündeten mir zwei Mädchen ABFFLs zu seinen. „Toll“, sagte ich und fragte, was ABFFLs eigentlich sind. „Allerbeste Freunde fürs Leben“, war die Antwort. Dagegen war nichts einzuwenden. Eine Woche später weinte eines der Mädchen bitterlich. Aus war es mit den ABFFL. Die Freundschaft wurde gekündigt. Ein anderes Mädchen nahm nun ihren Platz ein. „Das kommt in dem Alter schon einmal vor“, tröste ich das Mädchen und mich selbst. Eine tränennasse Kündigungswelle schwappte über die Mädchen an unserer Schule. ABBFL wurde geschlossen und wieder aufgehoben, Vermittlerinnen und Kündigungsvollstreckerinnen tauchten auf. Ich suchte das Gespräch und versuchte die Bedeutung von „Freunde“, „beste Freunde“ und „fürs Leben“ zu erklären. Ich erntete für diese Versuche erstaunte Blicke. Wer wie Paris Hilton sein will, kann sich seine beste Freundin auch casten, bzw. bei einmaligem Missfallen austauschen, frei nach dem Motto: „Jede Woche muss eine gehen!“ Und Paris hat ihre erste gecastete beste Freundin schliesslich auch in der zweiten Staffel durch eine neue „forever“ ersetzt.
Über die Auswirkung von männlichen TV- und Internet-Rollenvorbildern auf vater-, lehrer- oft beinahe ganz männerlos heranwachsende Burschen, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Ich glaube, Sie wissen wovon die Rede ist.

Konsequenzen:

- Vorschulkinder gehören nicht länger als 30 Minuten pro Tag vor die Kiste

- auch die Fernsehzeit von Schulkindern gehört limitiert

- die freie Programmwahl kommt mit dem Erreichen des Wahlalters

UND WIE SOLL DAS ERREICHT WERDEN?

Eine Familie hat EIN Fernsehgerät (oder es darf nur eines in Betrieb sein) und man muss sich gemeinsam auf ein Programm einigen. Gemeinsames Fernsehen ermöglicht direkte Kontrolle und das Sprechen über problematische Inhalte. Sollte als Nebenwirkung das Fernsehen an Attraktivität verlieren, ist das auch nicht so schlimm. Es gibt auch noch ein Leben abseits der Kiste.

Bild: MTV-Website

Montag, 7. September 2009

Medienerziehung Teil 1: Damals...

GlotzeVorbemerkung
Für mich hat nun die vierte Schulwoche des neuen Schuljahres begonnen. Die Anfangszeit ist immer eine besonders arbeitsreiche Zeit. Jetzt sollte aber alles wieder so weit im Schwung sein, dass ich wieder etwas mehr Zeit für diesen Blog habe.
Die Reaktionen auf meinen Blogeintrag „frdammti bitch - i shwör i shlach di – Zickenkrieg im Internet“ haben mir deutlich gezeigt, dass hier ein Thema vorliegt, das weitere Beachtung finden soll.
Außer den Kommentaren wurde ich auch persönlich oft auf diesen Eintrag angesprochen.

Die Welt verändert sich – und wie schnell!!

Um zu verstehen, wie schnell sich die Welt in den letzten Jahrzehnten verändert hat, krame ich in der Kiste meiner Erinnerungen.
1966 wurde ich geboren. Meine erste Erinnerung an ein Fernsehereignis war tatsächlich die Mondlandung 1969. Natürlich war dieses Jahrhundertereignis in schwarzweiß zu sehen. Das Fernsehprogramm startete erst am Nachmittag. Bald kam aber das Programm für Schichtarbeiter hinzu und wenn ich krank war und nicht zur Schule konnte, durfte ich manchmal einen Film anschauen. Im Sommer, bei Schlechtwetter und nur bei Schlechtwetter wurde ebenfalls ein Film gesendet. Ich weiß das darum noch so genau, weil „Der Schatz im Silbersee“ angekündigt worden war. Darum betete ich, dass Petrus ein Einsehen haben möge und meine Gebete wurden erhört. Auf dem Haus meiner Eltern thronte ein Antennenbaum fast in der Größe des Weihnachtsbaums vor dem Wiener Rathaus. Wir waren privilegiert, denn außer den beiden österreichischen Programmen konnten wir auch noch den Schweizer und drei deutsche Programme empfangen. Die großen Quizshows wie „Einer wird gewinnen“, „Der große Preis“ oder Spielshows wie „Spiel ohne Grenzen“ waren die Hauptattraktionen der Fernsehabende.
Als ich 18 Jahre alt war, also 1984 begann das Zeitalter des deutschen Privatfernsehens. Ein Portable TV zog zu mir in mein Zimmer. Viel Interessantes gab es nicht zu sehen. Lediglich „Tutti Frutti“ blieb mir in Erinnerung, und das obwohl ich die Spielregeln bis heute nicht verstanden habe. 1984 war die Zeit, als moderne Telefone Tasten anstelle der Wählscheibe hatten.
Mobiltelefone gab es zwar, doch sie waren meistens in Autos eingebaut und diese Autos gehörten Ärzten oder anderen sehr wichtigen Menschen. Es sollte bis zur ersten Schwangerschaft meiner Frau im Jahre 1995 dauern, bis ich selbst Besitzer eines Handys wurde. Das Ding war nach heutigen Maßstäben als riesig zu bezeichnen. Es passte kaum in eine Hosentasche und es nervte mich von dem Moment an, als es zum ersten Mal klingelte. Noch heute bin ich über ein Handy nicht zu erreichen. Ich schalte es nur ein, wenn ich jemanden anrufen möchte.
Meinen ersten Computer kaufte ich 1990. Es war ein Mac Classic mit 4 MB RAM und 40 MB Festplatte. Eigentlich staune ich heute noch, was dieses Maschinchen auf die grafische Benutzeroberfläche des winzigen Schwarzweißbildschirms zaubern konnte. Zuhause gelangte ich erstmals 1999 ins Internet. Mein 56K Modem ermöglichte mir, von meinem Wohnzimmer aus einen ersten Blick in die neue Datenwelt zu werfen.
Heute kann ich mit meinem Handy Musik hören, Filmchen abspielen, im Internet surfen, fernsehen, mit GPS navigieren, Fotos schießen, Videos aufnehmen, sogar telefonieren und wahrscheinlich noch viel mehr von dem ich keine Ahnung habe.
Es ist eigentlich atemberaubend, wie schnell sich die Welt im technischen Bereich verändert hat. selbstverständlich schätze ich viele dieser Entwicklungen sehr und möchte sie nicht missen. Vieles ist dem Menschen angeboren, doch der sinnvolle Umgang mit allen diesen Möglichkeiten ist es sicher nicht. Wir stehen vor wichtigen Aufgaben. Zum einen müssen wir für uns selbst einen Weg durch die virtuelle Welt bahnen, und zum anderen sind wir dafür verantwortlich unsere Kinder und Jugendlichen auf ihrem Weg durch diese neue Welt ein Stück weit zu begleiten, bis sie genug Erfahrungen und Reife haben, um diesen Weg alleine fortzusetzen.
In meinen nächsten Beiträgen werde ich Ideen liefern, wie dies geschehen kann.

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