Sonntag, 5. Juli 2009

Was haben Adolf Hitler, Ernst Bloch, Albert Einstein und ich gemeinsam?

km Die Frage ist einfach zu beantworten. Adolf Hitler, Ernst Bloch, Albert Einstein und ich waren oder sind bekennende Karl May Fans. Seine Werke, oft posthum noch zusätzlich mit etwas nationalsozialistischer Politur aufgemöbelt, strotzen förmlich vor politischen Unkorrektheiten. Vor Karl May wurde und wird gewarnt. Dagegen kann man objektiver Weise nichts sagen. In seinen Werken findet sich ein unsägliches Maß an Antisemitismus, Rassismus, Chauvinismus und Religionsintoleranz, dass das Lesen derselben, wären diese Werke während oder gar nach der nationalsozialistischen Zeit entstanden, wohl schon fast den Tatbestand der Widerbetätigung erfüllen würde. Ich erspare mir den Schmerz, für all diese Attribute noch Beispiele zitieren zu müssen. Es würde mir die Schamesröte ins Gesicht treiben, denn ich muss bekennen, seit meiner Kindheit bin ich in der Fantasiewelt Karl May gefangen. Begonnen hat alles damit, dass mir mein Großvater, der übrigens stolz darauf war, gar alle Bände der Gesamtausgabe gelesen zu haben, Jagdszenen aus den Orientgeschichten vorgelesen hat. Er starb als ich sieben Jahre alt war und die Momente, die ich mit ihm und Karl May zusammen verbringen konnte, sind meine lebhaftesten Erinnerungen an ihn. Wenn ich in Karl May Geschichten versank, war ich wieder mit meinem Großvater zusammen. Ich las Bücher und Comics, lauschte Hörspielen, sah die Filme in den Siebzigern im Kino und im Fernsehen. Keine Übertragung aus Bad Segeberg ließ ich aus. Nie verlor ich meine Freude am Werk Karl Mays ganz, und in den letzten zehn Jahren flammte diese alte Liebe wieder neu auf. Kaum ein Hörspiel oder –buch, das ich nicht mein eigen nenne und vor zwei Jahren schleppte ich meine Familie zu Karl May Festspielen. Mit dem Karl May Virus wurde ich als Kind infiziert und es gibt kein Gegenmittel. Alles Wissen um die Verwerflichkeit vieler Botschaften in seinem Werk können mich davon abhalten, dass ich mir demnächst „Das Buschgespenst“ anhören werde.
Die Geschichten Karl Mays hatten großen Einfluss auf mich. 22jährig unternahm ich meine erste „Orientreise“. Im Zug reiste ich von Feldkirch nach Istanbul, um von dort aus zu Euphrat und Tigris zu gelangen. Ich kam nur bis Izmir, wo ich länger blieb und allerlei Abenteuer als „Commission-Man“ im Bazar erlebte. Jahre später erst gelang es mir den Euphrat zu überqueren, als ich zusammen mit meiner damaligen Freundin und jetzigen Frau mit einem selbstumgebauten Kastenwagen unterwegs nach Indien war. Als wir in Pakistan von Quetta über Loralai nach Dera Ghazi Kahn fuhren, fühlte ich mich als Teil eines Romans des deutschen Reiseschriftstellers, der eigenartigerweise erst schrieb und erst viel später reiste.
Was passiert mit einem Menschen, der von Kindesbeinen an bis zu seinen besten Jahren den Schilderungen Mays ausgesetzt war? Wie wird seine Persönlichkeit geprägt? Mit Hitler und Goebbels scheint man auf Anhieb zwei Beispiele gefunden zu haben, die beweisen, dass die Botschaft Karl Mays auf fruchtbaren Boden fallen und grausige Blüten treiben kann. Der Zusammenhang zwischen May und Hitler ist nicht konstruiert. May war des Diktators Lieblingsautor. Karl Mays Witwe, Klara, war NSDAP Mitglied und schrieb von ihren Reisen für die Dresdner Zeitung „Freiheitskampf“ unter dem Titel "Unter dem Hakenkreuz um die Welt". Sie sah in der Beschreibung Old Shatterhands den Prototypen eines Ariers.
Old Shatterhand ist aber mehr als nur ein übermächtiger, deutscher Recke. Er ist ein christlicher Humanist, ein Altruist und wäre er nicht die Hauptfigur in des Führers Lieblingslektüre, würden die Rechten ihn wohl als Gutmenschen sehen. Er setzt sein Leben für die gerechte Sache aufs Spiel und obwohl Karl Mays Werk übersät ist mit rassischen und nationalistischen Stereotypen wird er nicht müde, der Menschen gleichwertige Zugehörigkeit zu Gottes Kinderschar zu betonen.
Die Helden Mays haben mich gelehrt, an mich selbst zu glauben und für Gerechtigkeit einzustehen, auch wenn ich mich dabei in schwierige Situationen manövriere. Mut und Selbstbewusstsein waren die Folge. Nationalist wurde ich nie (außer vielleicht, wenn es darum ging mich als Österreicher von den Angehörigen unseres nördlichen Nachbarstaates abzugrenzen - jetzt fällt mir ein, dass ich an anderer Stelle irgendwann noch eine Jugendsünde zu beichten habe). Von Antisemitismus keine Spur. Ich bin Yad Vashem tief verbunden und habe Teile der letzten drei Sommer in Jerusalem verbracht, um meine Fähigkeiten im Bereich der Shoah-Erziehung weiter zu verbessern. Auch bin ich ein Giaur, ein Ungläubiger der am stärksten ausgeprägten Art, ein Atheist. Ich bin auch überzeugt davon, dass ich mich nicht zu Carpio, Winnetou oder sogar Halef Omar gesellen werde, die sich durch Mays Feder zum Christentum haben bekehren lassen. Die Lektüre der Bücher Mays hat mir das 19. Jahrhundert näher gebracht. Der Mann, der so erfolgreich wie kein anderer damals für die deutschen Massen schrieb, muss den vorherrschenden Geist dieser Zeit verstanden haben und sein erfolgreiches Werk spiegelt ihn wieder. In seinen Werken, egal wo die Handlung spielt, wird das Deutsche Reich Bismarcks erfahrbar.
Verblendet vom Rassenwahn haben Hitler und seine Spießgesellen May nicht verstanden und nur Augen für die übermächtigen deutschen Helden und deren schon ins Übernatürliche gehenden Eigenschaften gehabt. Doch ich bin überzeigt davon, dass Old Shatterhand seine tapferen Gefährten aus aller Welt ins 3. Reich beordert hätte um gegen die Naziherrschaft anzutreten, KZs zu befreien um schlussendlich den Tyrannen mit einer schallenden Ohrfeige zu stürzen.
Bei May spalten sich die Geister, doch eines steht fest: Seine Bücher beflügelten die Fantasie von vielen Generationen. Wie sehr May bewegt und sogar eine einzelne Person zu spalten vermag, lässt sich auch in diesem 12minütigen Interview mit Arno Schmidt erkennen. Mays Werk bietet vielfältige Möglichkeiten sich mit Werten auseinanderzusetzen und bietet schier zahllose Lerngelegenheiten. Es kommt nicht von ungefähr, dass bei Karl Mays letztem Vortrag Bertha von Suttner in der ersten Reihe saß.

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